logo polar

Woran glauben – Religion & Kritik

Diskussion-Party

17/11/2007, um 19:30 Uhr

Sophiensaele Berlin - Eintritt frei

Podiumsdiskussion mit Hilal Sezgin (Autorin; u.a. taz & Zeit), Otto Kallscheuer (Politologe und Autor; u.a. FAZ & Zeit) und Hauke Brunkhorst (Soziologe, Uni Flensburg)

 

ab 21:30
Party


Starker Auftritt in den letzten Jahren, zumindest in den Feuilletons, Magazinen und Bücherlisten der letzten Jahre: Comeback der Religion? Die realen Zahlen der Religionsausübung in Deutschland bestätigen die Diagnose nicht, doch in öffentlichen Debatten zu Kultur und Politik spielt Gott wieder mit. Nachdem der Blick des säkularisierten europäisch-urbanen Intellektuellen die Religion bisher eher im Zusammenhang mit Identität und Pluralismus, Terrorismus und Kulturkampf-Ideologie diskutierte, scheint er sich nun neubürgerlich zurückzuwenden: Religiöse Sinnstiftung wird plötzlich auch in der angeblich kalt aufgeklärten Moderne wieder vermißt. Die diskursive Gegenbewegung eines Revivals der alten radikalen Religionskritik bleibt bisher publizistisch eher auf die USA beschränkt. Polar diskutiert das grundsätzliche Verhältnis von Religion und Kritik, Religion als Quelle von Gesellschaftskritik, Religion als Ziel radikaler Autoritätskritik, Religion als Sinnressource für Vernunftkritik.

Die 'neue' Religiosität bleibt dabei keine Privatsache, sondern besetzt auch eine neue Öffentlichkeit in durchaus ambivalenter Weise. Das Gefühl ökonomischer und terroristischer Bedrohung scheint nicht nur ein soziales, sondern auch ein neues transzendentales Sicherheitsbegehren hervorzubringen. Religion wird so nach Innen affirmativ als Stabilisator und Gemeinschaftsspender herangezogen und nach außen distinktiv mit Bedrohungsszenarien verbunden.

In Deutschland werden öffentliche Bekenntnisse stark mit der sozialen Funktion von Religion begründet. Religion wird angeführt als Vergemeinschaftungsoption, als nicht garantierbare Voraussetzung für den liberalen Rechtsstaat oder als Kitt für die Zivilgesellschaft. Lässt sich dieser Zusammenhang nachweisen? Ist Gott also eine notwenige Erfindung? Oder eben doch nur Opium fürs Volk? Selbst die Gläubigen, denen die Frage 'Wozu Gott?' eigentlich fremd sein sollte, unterstreichen den Nutzen von Religion gerne mit immer neuen Varianten einer Verfalls- und Atomisierungskritik.

Oder sollten sich Solidarität und Liebe nicht besser unmittelbar auf den Menschen beziehen, also immanent gedacht werden, ohne Gott? Über gesellschaftliche Entwicklung und Funktion hinaus stellt sich die Frage nach dem Unverfügbaren, dem Zweckfreien, dem vielbeschworenen „Sinn". Der Glaube an einen „Schöpfer", ein „absolutes Wesen" jenseits des Menschen ist heute gesellschaftlich alles andere als selbstverständlich. Der Lautstärke öffentlicher Bekenntnisse steht eine seltsame Sprachlosigkeit über die Gründe des Glaubens entgegen. Dementsprechend findet auch Religionskritik heute selten das nötige Gehör. Eine öffentliche Auseinandersetzung über Glauben erfordert Streitbarkeit auch hinsichtlich den „letzten Dingen" und ein hohes Bewusstsein für Toleranz. Daran scheitern Missionare ebenso wie Jakobiner.